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„Dass die Zahlen dauerhaft zurückgehen, ist nicht zu erwarten“ – Interview mit der Leiterin des Gesundheitsamtes für den Rheinisch-Bergischen Kreis, Dr. Sabine Kieth

„Dass die Zahlen dauerhaft zurückgehen, ist nicht zu erwarten“ – Interview mit der Leiterin des Gesundheitsamtes für den Rheinisch-Bergischen Kreis, Dr. Sabine Kieth

Rheinisch-Bergischer Kreis. Corona-Regeln, Hospitalisierungsinzidenzen, Impfdurchbrüche – in der Corona-Lage hat sich seit dem Beginn der zweiten Welle im vergangenen Herbst vieles verändert. Die Leiterin des Gesundheitsamtes für den Rheinisch-Bergischen Kreis, Dr. Sabine Kieth, ordnet die aktuelle Lage ein.

Frau Dr. Kieth, die Inzidenzwerte im Kreis sind aktuell niedrig. Ein gutes Zeichen?

Dr. Sabine Kieth: „Vorläufig vielleicht. Zum einen sind mittlerweile die Effekte der Reiserückkehrenden vom Ende der Sommerferien – und damit auch die Zahl eingeschleppter Infektionen verschwunden. Zum anderen war nach den Sommerferien die Zahl der positiv Getesteten zum Beispiel bei Schülerinnen und Schülern auch aufgrund der flächendeckenden Tests zunächst stark angestiegen. Und: Es wird laufend weiter geimpft. Dies bremst die Zahl der Neuansteckungen – auch wenn wir uns natürlich schon jetzt höhere Impfzahlen und einen stärkeren Effekt wünschen würden. Dass die Zahlen dauerhaft zurückgehen, ist aber nicht zu erwarten, auch wenn es vorerst etwas ruhiger bleibt. Das Leben wird sich mit sinkenden Außentemperaturen in Innenräume verlagern, Kontakte werden enger werden und damit die Übertragungen und die Infektionszahlen steigen. Zudem müssen wir uns auf neue Eintragungen durch Urlaubsrückkehrende nach den Herbstferien einstellen.“

Wenn Menschen sich trotz Impfung anstecken und auch erkranken können – weshalb dann impfen?

Dr. Sabine Kieth: „Nicht alle Infizierten erkranken auch an Covid-19, also der Krankheit, die durch das Corona-Virus ausgelöst wird. Der Unterschied zwischen Infektion und Erkrankung ist aber gerade mit Blick auf die Impfungen wichtig: Wer geimpft ist, hat einen guten Schutz gegen eine Ansteckung mit dem Corona-Virus – und einen noch höheren gegen eine schwere Erkrankung. Somit bietet die Impfung einerseits einen persönlichen Schutz und andererseits vermindert jede Impfung die Beeinträchtigung der Bevölkerung durch die Pandemie. Volle Wirksamkeit besteht nach einer Immunisierung in der Regel, wenn nach der letzten erforderlichen Impfdosis 14 Tage vergangen sind. Volle Wirksamkeit bedeutet jedoch nicht 100%igen Schutz. Diesen bieten Impfungen nie. So genannte ‚Durchbrüche‘ gibt es auch bei anderen Krankheiten, wie etwa den Masern. Durchbruch bedeutet, dass bei einer vollständig geimpften Person eine bestätigte Infektion mit Symptomatik festgestellt wird.“

Wenn Geimpfte Symptome entwickeln, dann bedeutet dies also einen Impfdurchbruch?

Dr. Sabine Kieth: „Auch Atemwegsinfekte, die durch andere Erreger verursacht werden, können Symptome hervorrufen. Wir erleben aktuell grade für die Saison typische Infekte. Die werden zuweilen fälschlicherweise für ein Impfversagen gehalten. Zudem kann auch der Impfstoff selbst kurz nach der Verabreichung leichte fieberhafte Reaktionen hervorrufen. Das ist jedoch eine normale Reaktion des Immunsystems und darf nicht mit einer Atemwegs- oder Covid-19-Erkrankung verwechselt werden.“

Steigt die Zahl der Impfdurchbrüche?

Dr. Sabine Kieth: „Mit steigender Impfquote sind unter den Erkrankten schlicht auch anteilsmäßig immer mehr Geimpfte. Dies ist kein Hinweis darauf, dass die Impfstoffe nicht wirksam sind, sondern erklärt sich anhand folgender Aspekte: Erstens ist die Wirksamkeit der Corona-Impfungen sehr gut, beträgt aber eben nicht 100%. Zweitens: Wenn die Impfquote steigt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass im geimpften Bevölkerungsteil auch Infizierte sind. Vereinfacht gesagt: Wären alle geimpft, betrüge der Anteil der Impfdurchbrüche an den Erkrankten 100%.“

Weshalb gibt es jetzt Impfdurchbrüche in Einrichtungen?

Dr. Sabine Kieth: „In letzter Zeit wurden wiederholt Infektionsketten in Einrichtungen unter bereits geimpften Kindern und Jugendlichen oder auch alten Menschen verzeichnet. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Impfungen nicht schützen. Im Gegenteil: Untersuchungen von Ausbrüchen in Pflegeheimen haben gezeigt, dass in der Regel Geimpfte nur leichte oder gar keine Symptome aufwiesen. Hier wiesen nur positive Labortests auf eine Infektion hin. Fehlen Symptome, belegen diese Nachweise die gute Wirksamkeit der Impfung unter vulnerablen Personen, die ohne Impfschutz häufig besonders schwer erkranken würden. Hier liegt dann keine Erkrankung vor, die Infizierten gelten jedoch als ansteckungsfähig, so dass auch hier durch Isolationsmaßnahmen eine Verbreitung des Virus verhindert werden soll. Flächendeckende Testes bleiben also wichtig, um auch Virus-Überträger unter den Geimpften zu identifizieren. Gefährdet sind dann vor allem die Ungeimpften.“

Ist die 7-Tages-Inzidenz also überhaupt noch wichtig?

Dr. Sabine Kieth: „Ja. Steigt die Inzidenz, bedeutet das, dass das Virus eben schneller und weiter in der Bevölkerung zirkuliert. Zudem ist die Inzidenz ein ‚Frühwarner‘ für das Geschehen in den Kliniken: Stecken sich mehr Menschen an, werden kurz darauf auch mehr Menschen schwer erkranken. Die altersbezogenen Inzidenzen sind zudem ein Anhaltspunkt dafür, in welchem Ausmaß vulnerable Bevölkerungsgruppen betroffen sind.“

Wie wird die Lage nun bewertet?

Dr. Sabine Kieth: „Die Inzidenz ist weiterhin wichtig, sagt aber noch nichts Konkretes über die Zahl der Erkrankten aus. Manche Menschen haben, wie gesagt, gar keine oder nur ganz milde Symptome. Zur Bewertung des Infektionsgeschehens werden deshalb seit einiger Zeit drei Werte herangezogen: die 7-Tage-Inzidenz, die 7-Tage-Hospitalisierungsinzidenz und die Auslastung der Intensivbetten.“

Was bedeutet 7-Tage-Hospitalisierung? Ist die Zahl immer aktuell?

Dr. Sabine Kieth: „Sie gibt an, wie viele Infizierte pro 100.000 Einwohner innerhalb der letzten sieben Tage in einem Krankenhaus aufgenommen wurden. Der Wert wird anhand der Vorgaben des RKIs berechnet. Er beruht auf den Meldungen der Gesundheitsämter. Wir ordnen den von uns gemeldeten Infektionsfällen die namentlichen Einweisungsmeldungen aus den Krankenhäusern zu. Das ist ziemlich aufwändig, weil wir jeden Infektionsfall einzeln bearbeiten müssen. Es gibt auch eine zweite Zahl, die sich aus den täglichen, also nicht namentlichen Meldungen der Krankenhäuser im Informationssystem Gefahrenabwehr NRW (IG NRW) ergibt. Dieser Wert ermöglicht eine sehr aktuelle Einschätzung, weicht aber naturgemäß vom Wert des RKI ab. Trotzdem zeigen beide Werte, wie sich die Zahl der schweren Krankheitsverläufe entwickelt. Steigen sie, ist das ein Hinweis auf eine drohende Überlastung des Gesundheitssystems.“

Welche Schwellenwerte gelten künftig für die neuen Leitindikatoren? Werden sie kreisweit ausgewiesen?

Dr. Sabine Kieth: „Schwellenwerte gibt es nicht mehr, das ‚Gesamtbild‘ zählt. Kreisweit werden diese Daten nicht erhoben. Da Einzugsgebiete von Krankenhäusern nicht mit Kreisgebieten deckungsgleich sind, wäre eine regionalisierte Zahl wenig aussagekräftig. Das Landeszentrum Gesundheit erhebt die Zahlen landesweit. Diese Angaben werden wir im Auge behalten.“

Bis wann gelten die neuen Regeln?

Dr. Sabine Kieth: „Die neue Corona-Schutzverordnung gilt bis zum 29. Oktober 2021. Dann soll das Infektionsgeschehen landesweit neu bewertet werden.“

Wie wird sich die Lage im Rheinisch-Bergischen Kreis in diesem Herbst entwickeln?

Dr. Sabine Kieth: „Die aktuellen Inzidenzen sind nur sehr eingeschränkt mit denen von 2020 vergleichbar. Mittlerweile gibt es Impfungen, deshalb führen mehr Ansteckungen nicht – wie damals – automatisch zu mehr Schwerkranken. Allerdings kursiert weiterhin die Delta-Variante des Virus‘, und sie ist viel ansteckender als der ‚Urtyp‘. In dieser aktuellen Situation, mit einer völlig unterschiedlichen Entwicklung bei Geimpften und Ungeimpften, einer aggressiven Virusvariante, mit geöffneten Kitas, Schulen und Freizeitangeboten unter 3G-Regelung, wissen wir schlicht noch zu wenig darüber, wie sich die vierte Welle in diesem Herbst und Winter weiter entwickeln wird.“

von: Rheinisch-Bergischer Kreis/Pressestelle

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